„Man kann da ja nichts machen.“ In den letzten Wochen sind wir unfreiwillig zu einer Nation von Stubenhockern geworden. Und wenn ich es drinnen irgendwann nicht mehr ausgehalten habe, sondern doch spazieren gegangen bin und mich dann doch einmal mit jemandem unterhalten habe, dann lief das Gespräch meist zielsicher auf diesen Satz zu: „Man kann da ja nichts machen.“ Wir müssen das irgendwie aussitzen und das Beste hoffen. Da mischen sich dann Resignation und eine Prise Sorge und eigentlich passt das so gar nicht zum Jubel der Vögel, zum Sonnenschein und zum aufwachenden Grün überall um uns herum.
Lässt sich dieses Grün denn nicht irgendwie in unsere Herzen holen? In den offenen Kirchen versuchen wir das ein wenig. Da ist Hoffnungsgrün zu sehen, zum Beispiel auf der neuen Osterkerze in Kronsforde. Wer sie anschaut, sieht eine Weinrebe mit tiefgrünen Blättern und saftigen Trauben, die sich um ein ganz feines Kreuz herumrankt.
Mit dem Wein haben wir es ja irgendwie in der Kirche. Schon von Anfang an. „Ich bin der wahre Weinstock“, sagt Jesus am Abend seiner Gefangennahme:
„Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun“
(Joh 15,5).
In diesem Wort stecken drei Gedanken, die Jesus seinen Jüngern mitgibt, um ihnen Mut zu machen: Ein Bild, ein Versprechen und eine Erinnerung.
Zuerst das Bild: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Noch nie habe ich so deutlich gemerkt, dass ich ohne die Menschen um mich herum eingehe, wie in den letzten Wochen. Jede zufällige Begegnung beim Hundespaziergang wird zum Event, das mich aufleben lässt. Und trotzdem: Wenn wir dann stehen bleiben und uns unterhalten, dann ist das Gespräch erst lebhaft – und dann geht es um Corona. Und dann geht es ein und ist so viel toter als das Frühlingsgrün um uns herum. Und über kurz oder lang hocke ich ja doch wieder zuhause.
Da tut es gut, wenn ich mich als eine Weinrebe fühlen kann. Auch wenn das erst einmal gar nicht so gut dazu passt, wie ich sonst von mir denke: Ein Blättchen im Wind, das nur von seinem Stamm gehalten wird? Und doch: Mir schenkt dieses Bild Hoffnung, wenn ich merke, dass all die Quellen, aus denen ich sonst meine Kraft ziehe, versiegen. Denn alles, was die Rebe braucht, ist die Verbindung zur Mutterranke. Solange es nur diese Verbindung gibt, steht sie im Saft und bleibt lebendig.
Trotzdem ist bei mir zu Hause in diesen Tagen nicht nur eitel Sonnenschein. Das Versprechen, das Jesus seinen Jüngern mitgibt, klingt da fast ein wenig spöttisch: „Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Dabei ist drinnen bleiben doch gerade mein Problem: Ich bin zur Untätigkeit verdammt und das fällt mir schwer. Ich bin weder Arzt noch Landwirt oder Handwerker. Alles, was ich tun kann, ist zuhause bleiben und niemanden anstecken. Und das zählt irgendwie nicht.
„Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht“, das stellt die Logik, nach der ich lebe in Frage. Reicht es Jesus denn wirklich, dass ich in der Stube hocken bleibe – zusammen mit ihm ausharre und auf ihn höre? Wird mein Leben dann wie von selbst Früchte tragen? Wie das sein kann, verstehe ich nicht sofort. Dafür brauche ich Zeit. Aber die habe ich ja. Vielleicht ist das ein gutes Lebensprogramm auch, wenn jetzt die Corona-Maßnahmen langsam wieder gelockert werden: mir Zeit nehmen, um Jesu Worte im Herzen zu bewegen. Und vielleicht kann ich so ja neu lernen, was es heißt, ein „fruchtbares“ Leben zu führen und ein „produktiver“ Teil der Gesellschaft zu sein.
Und dann ist da noch die Erinnerung: „Ohne mich könnt ihr nichts tun.“ Dass leuchtet im Bild des Weinstocks ein. Wenn Jesus die Quelle unserer Lebenskraft ist und diese Quelle versiegt, dann sterben wir früher oder später ab, so wie Blumen sich ja auch nicht ewig im Wasserglas halten können. Und es leuchtet ein, weil uns gerade klar wird, wie wenig wir den Lauf der Welt steuern können. Wir erleben eine Machtlosigkeit, die wir so nicht kannten. Und vielleicht wäre das ganz heilsam, wäre der Preis dafür nicht so hoch.
Wie nötig ich diese Erinnerung habe, merke ich an den Schwierigkeiten, die es mir macht, innerlich lebendig zu bleiben, wenn ich nicht heraus darf, wenn ich nichts tun und machen, nichts leisten und niemanden sehen kann. Wie anders sind da die Hecken und Sträucher, die jungen Bäume um uns herum, die einfach dort, wo sie sind, ausharren und aus Gottes Gegenwart Wasser ziehen.
Lassen Sie uns gemeinsam versuchen, vom Frühlingsgrün zu lernen!
Ihr Vikar Konrad Otto