Im Gottesdienst am 15. Sonntag nach Trinitatis werden Verse aus dem Psalm 127 gebetet; einer davon ist ein berühmtes Sprichwort geworden und lautet:
„… denn seinen Freunden gibt er es im Schlaf.“
Diese Übersetzung Luthers ist im Grunde ungenau. Wenig besser ist die Variante, wonach Gott es „den Seinen“ im Schlaf gibt. Treffender übersetzt, könnte es lauten: denen, die er liebt, gibt er (ruhigen) Schlaf.
Ruhiger Schlaf – das ist für uns lebenswichtig. Eine banale Erkenntnis. Manche versuchen, ihn zu erlangen, indem sie sich Medikamente einverleiben, die sie zur Ruhe kommen lassen sollen. Oft genug geht das schief, und es entstehen Abhängigkeiten. Andere suchen Ruhe in der Natur, in einem Glas Rotwein, im Hören von Klaviersonaten, im Ansehen einer Folge von „Inspector Barnaby“.
Die Art des Hilfsgriffes ist dabei egal. Wichtig ist, dass er wirkt. Und wichtig ist, dass man sich der Wirkung nicht verschließt, sondern erkennt, dass letztlich Gott es ist, der die Ruhe in die Seele herabsenkt. Gott, durch dessen Beistand alle menschliche Arbeit erst Sinn und Beständigkeit bekommt, lädt jede Stunde aufs Neue dazu ein, ihm zu vertrauen, ohne dabei völlig sorglos in den Tag hinein zu leben. Aus dem Vertrauen in Gott erwächst die Gelassenheit in den Dingen des Alltäglichen; aus der Ruhe, die Gott demjenigen schenkt, der sich ihm anvertraut, erwächst die Kraft, nicht hoch zu fahren, sondern gelassen zu bleiben.
Das fällt schwer und ist zuweilen unmöglich. Aber die Ruhe, die Gott schenkt, lässt im Menschen die Widerstandskraft wachsen, die ihn letztlich davor bewahrt, zum Spielball der Ereignisse zu werden. Diese Widerstandskraft befähigt ihn, nicht aus der Haut zu fahren, wenn sich seine Mitmenschen rücksichtslos verhalten, wenn ein Vorhaben nicht gelingen will, wenn der Wetterbericht schon wieder falsch war und der Wind den nachbarlichen Kaminrauch abermals ins eigene Wohnzimmer bläst. Es sind die Situationen, in denen in den sechziger- und siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts ein sogenanntes HB-Männchen in die Luft ging, um dann nach wenigen Zügen an einer Zigarette wieder geerdet zu werden. Gott wohnt ganz sicher nicht in diesem Zigarettenrauch und schon erst recht nicht in dieser Werbung – aber das Prinzip stimmt.
Die Gelassenheit lässt uns einen ruhigen und kühlen Kopf behalten. Sie entfernt eine Quelle der Sorgen, sie bewahrt die Schärfe der Gedanken und sie bewahrt im besten Sinne die menschliche Klugheit.
Man betrachte die Gesichter der Menschen, die mit sich im Reinen sind, die ihre Mitte haben und Gelassenheit erleben dürfen. Diese Gesichter leuchten von innen. Am ehesten sieht man dieses innere Leuchten in den Gesichtern alter Mönche, die im Leben mit Gott Demut und Vertrauen geübt haben.
Gelassenheit befähigt auch zur Vergebung, dieser größten aller menschlichen Gesten. Im Brief an die Epheser im 4. Kapitel mahnt der Apostel: Vergebt einander, wie Gott euch vergeben hat durch Jesus Christus. Vergebung zu üben, setzt innere Gelassenheit voraus, was die Dinge betrifft, die vergeben werden sollen. Vergeben kann nur, wem Gott nahe ist.
Gott schenke uns seine Nähe, er senke Ruhe und Gelassenheit in unser Herz und segne unseren Weg auf Erden.
Prädikant Michael Marxen